Die Lebenserwartung der Deutschen ist in den letzten Jahrzehnten stetig gestiegen und lag im Jahr 2020 bei 78,9 Jahren für Männer und und 83,6 Jahren für Frauen. Das bedeutet, dass Kinder die im Jahr 2020 geboren wurden, schätzungsweise mit diesem Durchschnittsalter sterben. Damit hat sich die Lebensdauer hierzulande seit dem Jahr 1870 mehr als verdoppelt. Diese Entwicklung ist in erster Linie dem medizinischen Fortschritt und einer verbesserten Hygiene geschuldet. Doch interessanterweise sind die Menschen heute eher weniger Gesund. Über die Hälfte der erwachsenen deutschen Bevölkerung ist übergewichtig und trägt damit ein erhöhtes Risiko für chronischer Krankheiten, wie Typ-2 Diabetes oder Erkrankungen des Herz-Kreislauf-System. Letztere stellen seit Jahren die Haupttodesursache in Deutschland dar.
Laut WHO sind es sogenannte modifizierbare Verhaltensrisikofaktoren, die für einen Großteil der Zivilisationskrankheiten verantwortlich sind. Diese Risikofaktoren sind Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum, eine ungesunde Ernährung und mangelnde Bewegung. Eine Studie aus der Schweiz konnte im Jahr 2014 erstmals mit Zahlen belegen, dass diese Verhaltensweisen das Leben um bis zu 10 Jahre verkürzen können.
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Ein Blick auf Blaue Zonen
Um zu erkennen, welch starken negativen Einfluss unsere vermeintlich moderne Lebensweise auf unsere Gesundheit und Lebenserwartung hat, lohnt sich ein Blick auf die Orte der Welt, an denen Menschen besonders alt werden. Der Wissenschaftsautor Dan Buettner prägte im Jahr 2005 für diese Orte den Begriff „Blaue Zonen“. Insgesamt ordnete er in seinem Buch „The Blue Zones: Lessons for Living Longer from the People Who’ve Lived the Longest“ 5 Regionen dieser Zone zu:
- die italienische Insel Sardinien
- die japanische Insel Okinawa
- die Stadt Loma Linda in Kalifornien
- die Halbinsel Nicoya in Costa Rica
- die Insel Ikaria in Griechenland
Besonders Okinawa bekam aufgrund seiner sehr alten Bevölkerung viel mediale Aufmerksamkeit und erhielt den Beinamen „Insel der Hundertjährigen“. In der Tat war der Unterschied zwischen der Altersstruktur der Bewohner Okinawas und dem restlichen Japan so deutlich, dass auch die Wissenschaft viel Arbeit und Mühe investierte, um zu entschlüsseln, warum die Menschen dort so alt wurden und sich offensichtlich auch bester Gesundheit erfreuten. Selbst Untersuchungen der ältesten unter den Alten (Sterbealter zwischen 110 und 112) ergab, dass nur sehr wenige von ihnen an chronischen Krankheiten litten. Kardiovaskuläre Erkrankungen, Typ-2 Diabetes und selbst Krebserkrankungen schienen bei den Hundertjährigen auf Okinawa kaum vorzukommen .
Die Gesundheit und damit einher gehende hohe Lebenserwartung der Bewohner Okinawas lässt sich auf einen gesunden Lebensstil zurückführen. Das traditionelle Leben auf der Insel ist geprägt von einem Wechsel aus Arbeit und Ruhe, viel Bewegung und einem stabilen sozialen Zusammenhalt innerhalb der Familie und unter Nachbarn und Freunden. Doch eine tragende Rolle spielt die traditionelle Ernährung. Sie ist klassischerweise kalorienarm und reich an Phytonährstoffen, wie Antioxidantien oder Flavonoiden. Die Mahlzeiten bestehen hauptsächlich aus Gemüse und Obst und nur selten aus ein wenig Fleisch und Fisch. Industrielle Getreideprodukte, gesättigte Fette, Zucker, Salz und Milchprodukte stehen dagegen kaum auf dem traditionellen Speiseplan. Interessanterweise gibt es hier sehr viele parallelen zur traditionellen mediterranen Küche, die auch mitverantwortlich für die Langlebigkeit auf Sardinien und Ikaria gemacht wird. Dieses Ernährungsschema verringert das Risiko für die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, verschiedener Krebsarten und anderer chronischer Krankheiten deutlich und reduziert gleichzeitig den oxidativen Stress.
Hinzukommt auf Okinawa, dass es gesellschaftlich verpönt ist, sich pappsatt zu essen. Eine traditionelle Essensregel besagt, dass mit dem Essen aufgehört werden soll, wenn der Magen zu vier Fünfteln gefüllt ist. Besonders diese Art der lebenslangen Kalorienreduktion stellt laut Forschern einen wichtigen Faktor für Gesundheit und Langlebigkeit dar. Aus diesem Grunde erweisen sich auch Ernährungsparadigmen wie intermittierendes oder periodisches Fasten als wirkungsvolle Werkzeuge für Gesundheit und Langlebigkeit. Im Januar 2021 zeigte eine Übersichtstudie der Universität Kalifornien, wie die Zellalterung und die Entstehung von chronischen Krankheiten durch eine solche Ernährungsweise ausgebremst werden können. Sogar ihr therapeutisches Potential für einige Krankheiten, wie Krebs, Autoimmunität, neurodegenerative, Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wird von den Forscher diskutiert.
Welche Rolle spielen die Gene?
Neben der Ernährung wurden auch genetische Faktoren für Langlebigkeit lange Zeit in der Wissenschaft diskutiert. Gerade auf Inseln ist die Population überschaubar und bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts blieben Insulaner weltweit eher unter sich. So könnten sich vorteilhafte genetische Varianten hier deutlich besser stabilisieren als in einer größeren Bevölkerung, in der es eine viel stärkere Durchmischung des Genpools gibt. Eine Studie aus dem Jahr 2018 konnte allerdings zeigen, dass genetische Vorteile bei dem Thema Langlebigkeit stark überschätzt wurden und nur einen geringen Einfluss von unter 10 Prozent ausmachen. Ausschlaggebende Faktoren für Langlebigkeit sind daher in erster Linie der Lebensstil und Umweltfaktoren.
Die Ergebnisse dieser Studie erklärt auch eine Beobachtung, die über 30 Jahre vorher gemacht wurde. Im Jahr 1984 untersuchte eine Klinik auf Hawaii die Daten von 8006 in die USA eingewanderten Japanern. Die Forscher wollten herausfinden, ob sich regionale Unterschiede aus Japan bei den Einwanderern widerspiegeln. Sie verglichen physische, medizinische und diätische Informationen und stellten fest, das keine Unterschiede zu erkennen waren. Japaner aus Okinawa litten mit vergleichbarer Häufigkeit an chronischen Erkrankungen und verstarben zum Teil auch daran, wie andere Japaner oder US Bürger, dessen Lebensstil sich die Einwandere angeeignet haben.
Moderne Zeiten
Interessanterweise findet auch auf Okinawa selbst dieser Prozess schleichend seit Jahrzehnten statt. Die Zeiten des traditionellen Lebenswandels sind auch hier mittlerweile verstrichen und das Leben auf der Insel wird geprägt durch eine eher westliche Lebensweise. Durch eine große Dichte an amerikanischen Militärstützpunkten auf der Insel breitete sie sich zum Teil sogar schneller aus, als im übrigen Japan. Die Menschen auf Okinawa bewegen sich heute deutlich weniger, konsumieren mehr Alkohol und ernähren sich schlechter. Alles Punkte, die laut WHO modifizierbare Verhaltensrisikofaktoren für chronische Erkrankungen darstellen. Die Ernährung wurde insgesamt kalorienreicher und auf mehreren Ebenen ungesünder. So eröffnete Mc Donalds 1976 seine erste Franchise Filiale in Japan auf der Insel Okinawa und viele weitere Fastfoodketten sollten folgen.
Während die Hundertjährigen Okinawa noch immer als einen der gesündesten Orte der Welt in die Schlagzeilen bringen, werden die jüngeren Inselbewohner dieses hohe Alter womöglich nicht mehr erreichen. Tatsächlich liegt die Lebenserwartung auf Okinawa heute unter dem japanischen Durchschnitt. Im Jahr 2017 lag der Anteil an übergewichtigen Menschen in der Präfektur Okinawa mit 38,4 % bei Männern und 25,9 % bei Frauen sogar auf Platz 1 von ganz Japan. Dabei könnte man sagen, die Bewohner Okinawas hatten es selbst in der Hand.
Was können wir von Okinawa lernen?
Gesundheit und Langlebigkeit sind weder eine Frage der Gene, noch des Ortes an dem man lebt. Sie sind ein Resultat eines andauernden gesunden Lebensstils, der die Ernährung, Bewegung und das soziale Umfeld umfasst. Okinawa zeigt, dass die lokalen Gegebenheiten und das Umfeld einen entscheidenden Einfluss darauf haben, wie sich Menschen verhalten. Doch es bleibt zu hoffen, dass jeder auf seine Gesundheit achtet, wenn er nur weiß, welch starken Einfluss sein Verhalten hat. Eine gute medizinische Versorgung allein garantiert vielleicht, dass wir später sterben, aber nicht dass wir auch Gesund sind.
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[…] Dies deckt sich mit Beobachtungen der Hundertjährigen auf der japanischen Insel Okinawa, dessen hohe Lebenserwartung auf ihren traditionellen Lebensstil zurückzuführen ist […]