Haben Sie schon einmal von Aufschieberitis gehört – oder kennen Sie diese sogar aus eigenen Erfahrungen? Offiziell spricht man auch von Prokrastination und gemeint ist der Drang, bestimmte, teils wichtige Aufgaben, immer wieder auf später oder morgen zu verschieben, anstatt sie einfach zu erledigen. Diesem Aufschiebedrang können sämtliche Tätigkeiten zum Opfer fallen, angefangen vom Hausputz über die Steuererklärung bis hin zu unangenehmen Telefonaten.
Allerdings neigt nicht jeder Mensch gleichermaßen zu Prokrastination. Stattdessen fällt es den einen leichter, anstehende To-Dos einfach umzusetzen, während andere immer wieder damit haben und sie bis zur letzten Minute oder gar darüber hinaus aufschieben. Verschiedene Theorien und Studien versuchen, den Ursachen dafür auf den Grund zu gehen. Gut zu wissen ist aber auch, dass man durchaus an der eigenen Fähigkeit, in Aktion und die Umsetzung von Aufgaben zu gehen, arbeiten kann.
Bestimmte Gehirnstrukturen begünstigen die Aufschieberitis
Ein Team rund um die Wissenschaftlerin Caroline Schlüter hat 2018 Studienergebnisse veröffentlicht, die einen Zusammenhang zwischen Prokrastination und der individuellen Gehirnstruktur nahelegen.
Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen befragten in ihrer Studie 264 gesunde Erwachsene bezüglich ihrer Neigung, Dinge lieber auszuführen oder aufzuschieben. Die offizielle Bezeichnung lautet dabei Handlungskontrolle, oder auf Englisch Action-Control. Anschließend wurden die Gehirne der Studienteilnehmenden gescannt und Volumina sowie Vernetzungen zwischen einzelner Hirnareale untersucht.
Im Zentrum dieser Ergebnisse steht die Amygdala: Diese ist ein kleiner, etwa mandelförmiger Teil des Gehirns, das auch als Gefühlszentrum bekannt ist. Hier werden insbesondere Emotionen wie Angst und Furcht gesteuert und reguliert. So hilft uns die Amygdala auch dabei, mögliche Gefahren sowie Konsequenzen von Handlungen und Situationen zu erkennen.
Eine vergrößerte Amygdala vermindert die eigene Handlungskontrolle
Der Studie zufolge haben diejenigen, die eher zur Prokrastination neigen, eine vergleichsweise größere Amygdala. Das führt dazu, dass Ängste und ein Bewusstsein für Gefahren stärker ausgeprägt sind. Häufig werden Aufgaben aus Sorge über die Konsequenzen einer Handlung aufgeschoben.
Ein gutes Beispiel sind dafür unangenehme Konfliktgespräche: Aus Angst vor dem Konflikt und Sorge über den Ausgang des Gesprächs, wird es lieber vermieden. Bei anderen Beispielen ist die dahinterstehende Angst nicht ganz so naheliegend, aber mitunter durchaus ausschlaggebend. Oft ist es auch eine Unsicherheit, die uns von einer Handlung abhält – weil wir sie uns vielleicht insgeheim gar nicht zutrauen.
Wenn Sie das nächste Mal bemerken, dass Sie sich vor etwas drücken, können Sie sich also fragen, warum Sie das gerade tun. Was könnte passieren, wenn Sie die Aufgabe erledigen? Was wären die schlimmstmöglichen Konsequenzen? Ein Bewusstmachen der eigenen Ängste und Unsicherheiten ist ein wichtiger Schritt, sie zu überwinden.
Ebenfalls von Bedeutung: Die Verbindung zum dorsalen ACC
Eine vergrößerte Amygdala ist aber noch nicht die alleinige Erklärung für Aufschieberitis. Weiterhin fanden die Wissenschaftler:innen heraus, dass auch die Vernetzung zwischen Amygdala und dem dorsale anteriore cinguläre Cortex, kurz: dorsale ACC, eine wichtige Rolle spielt.
Dieser dorsale ACC kann unterschiedliche Handlungen miteinander vergleichen und den jeweiligen potentiellen Ausgang einer Tat abschätzen. So trifft er die Entscheidung für eine auszuführende Handlung. Dazu sorgt er dann auch dafür, mögliche ablenkende Einflüsse zu unterdrücken. Der dorsale ACC hilft uns also nicht nur dabei, uns endlich dazu zu entscheiden, eine bestimmte Aufgabe jetzt umzusetzen, sondern auch, uns ganz und gar auf diese zu konzentrieren.
Aber: Wenn es keine gute Verbindung zwischen dem dorsalen ACC und der Amygdala gibt, kommunizieren diese beiden Areale nicht ausreichend miteinander. Die Entscheidungskraft des dorsalen ACC sinkt in Folge, während die Amygdala einen stärkeren Einfluss ausüben kann und wir also wieder aus unbewussten Ängsten heraus in Prokrastination verfallen.
Weitere Erklärungen für Prokrastination
Neben unterschiedlichen Gehirnstrukturen gibt es weitere Gründe, die eine Aufschieberitis befördern können. Dabei ist letztlich natürlich nicht ausgeschlossen, dass es zwischen diesen und den Gehirnstrukturen einen Zusammenhang ist. Letztlich ist unser Gehirn ein großer Muskel, der sich im Laufe des Lebens verändern und ständig neu vernetzen kann.
Für viele Menschen stellt die Tendenz, Dinge aufzuschieben, ein erlerntes Verhalten dar. Oft hat dieses seine Wurzeln in Kindheit und Jugend. In der Schule hat es vielleicht wunderbar funktioniert, Hausaufgaben und Klausurvorbereitung nicht frühzeitig anzugehen, sondern auf den letzten Drücker oder sogar nachts zu erledigen. Das kann zu der inneren Einstellung führen, dass Planung und Organisation nicht nötig sind, sondern es auch ohne schon irgendwie klappen wird.
Gerade im Arbeitsumfeld steckt auch häufig ein unklares Verständnis vom Ziel und den Erwartungen an eine Aufgabe hinter dem Aufschieben. Wenn wir nicht richtig wissen, was wir eigentlich tun sollen und was damit erreicht werden soll, fällt es auch schwer, die Aufgabe anzugehen. Außerdem können frühere Misserfolge dazu führen, dass wir diese Erfahrung nicht wiederholen wollen. Dann drücken wir uns davor, uns der Aufgabe ein erneutes Mal zu stellen. Hier spielen also wieder Angst und Unsicherheit eine Rolle.
Sehr häufig sind es aber auch Zeitnot, hoher Druck und Stress, die uns in die Aufschieberitis führen können. Wenn zu wenig Zeit mit zu vielen Aufgaben gefüllt ist, haben wir nicht den nötigen Raum, auch alles anzugehen. Häufig werden dann zunächst die To-Do’s erledigt, die sich schnell und einfach umsetzen lassen – damit die To-do-Liste möglichst schnell kürzer wird. In der Praxis kommen aber meist immer wieder neue Aufgaben hinzu, so dass letztlich einzelne Punkte lange auf der Liste verweilen und immer wieder aufgeschoben werden.
Aufschieberitis mit Übung und Disziplin überwinden
Die gute Nachricht ist: Prokrastination lässt sich (ab-)trainieren! Oftmals tendieren wir zum Dinge aufschieben, weil uns dies kurzfristig ein gutes Gefühl von Entspannung und Freiraum verschafft. Insgeheim lungern die nichterledigten Aufgaben aber immer in unserem Unterbewusstsein und rauben und Energie, ohne dass wir es merken.
Und viel langanhaltender und nachhaltiger ist das gute Gefühl, dass uns das Abhaken eines To-Do’s verschafft. Vor allem, wenn dies schon sehr lange auf unserer Liste stand. Deshalb lohnt es sich, sich die eigene Handlungskontrolle in den Fokus zu nehmen und zu stärken. Dabei helfen Ihnen die folgenden Tipps und Methoden.
Die „Eat the frog“-Methode
Hinter diesem lustig klingenden Namen versteckt sich der Ansatz, stets die unangenehmste Aufgabe eines Tages als Erstes, gleich am Morgen zu erledigen. Also genau das, was Ihnen sonst den gesamten Tag Bauchschmerzen bereitet. Sei es eine E-Mail, ein Telefonat, das Begleichen einer Rechnung oder oder oder.
Aufgaben priorisieren
Gerade bei einer hohen Last an Arbeit und Aufgaben hilft es, die Prioritäten zu klären. Was ist besonders dringend oder wichtig? Priorisieren Sie alles, was ansteht, gedanklich oder sogar schriftlich und dann halten Sie sich an diese Priorisierung.
Große Aufgaben in kleine Teilaufgaben unterteilen
Wenn wir vor einer riesigen Aufgabe sitzen, kann uns das schnell überfordern. Sie wirkt wie ein monströses Etwas ohne Anfang und Ende, zu dem wir einfach keinen Zugang finden. Können wir möglicherweise auch gar nicht, wenn wir uns nicht alle nötigen Teilschritte und Unteraufgaben bewusst machen. Unterteilen Sie große Projekte in viele einzelne Aufgabenpäckchen und dann gehen Sie eins nach dem anderen an.
Realistische Ziele setzen
Wir sind alle keine Maschinen, die unendlich viel an einem Tag erledigen und leisten können. Lernen Sie, sich realistische Pläne zu machen. Und setzen Sie sich nur solche Ziele, die Sie auch wirklich erreichen können.
Das Nein-Sagen lernen
Manchmal hilft alles nichts und es liegt einfach so viel auf unserem Schreibtisch, dass wir das unmöglich alles schaffen können. Auch das ist eine wertvolle Erkenntnis. Und dann heißt es aussortieren. Dazu zählt auch, in Zukunft Nein zu etwas zu sagen, wenn Sie schon anderweitig ausgelastet sind.
Haben Sie weitere Ideen, wie man die Aufschieberitis heilen kann? Erzählen Sie uns gerne in den Kommentaren davon!