Wenn ein Säugetier in der Wildnis seinem Feind knapp entkommen und die Gefahr gebannt ist, versteckt es sich hinter dem nächstgelegenen Busch und beginnt, einige Minuten lang zu zittern. Das ist eine ganz natürliche Reaktion des Körpers auf den erlebten Stress. Dieser kann sich lösen und beeinflusst das Tier in der Folge nicht weiter.
Spannend ist, dass auch wir Menschen die Fähigkeit zu dem sogenannten neurogenen Zittern besitzen. Doch während Kinder weiterhin mit Zittern auf Angst, Schock oder traumatische Erlebnisse reagieren, haben Erwachsene es scheinbar verlernt. Stattdessen speichern wir Stress und Anspannung im Körper und tragen sie so durchs Leben.
TRE® stellt eine Form dar, im Körper gebundenen Stress und Trauma mithilfe spezieller Übungen zu lösen. Sie können alte Gefühle körperlich verarbeiten, finden eine tiefere Verbindung zu Ihrem Körper, mehr Entspannung und körperliche Beschwerden reduzieren sich über die Zeit.
Was genau TRE® bedeutet, wie diese Methode funktioniert und wo Sie sie üben können, erfahren Sie in diesem Artikel.
Was bedeutet TRE®?
TRE® steht für „Tension and Trauma Releasing Exercises”. Auf Deutsch übersetzt bedeutet das „Spannungs- und traumalösende Übungen“. Die Methode wurde vom Psychotherapeuten und Traumaexperten Dr. David Berceli entwickelt und zielt darauf ab, mithilfe körperlicher Übungen den uns innewohnenden neurogenen Tremor, eine Art Vibration oder Schütteln, zu aktivieren.
So werden stressbedingte Anspannungen in den Muskeln gelöst und der Körper zurück in sein Gleichgewicht gebracht. Nachdem Sie den Übungsablauf unter Anleitung erlernt haben, können Sie ihn eigenständig zuhause durchführen. TRE® ist daher vielmehr Hilfe zur Selbsthilfe als eine Traumatherapie.
Die Reaktion des Körpers auf Stress und Trauma
Um zu verstehen, wie relativ simpel erscheinende Übungen tiefliegende Spannung auflösen können, müssen Sie wissen, wie der Körper auf Stress und Trauma reagiert.
Was ist Stress?
Unter Stress versteht man eine erhöhte körperliche oder geistige Anspannung, die durch äußere Reize, sogenannte Stressoren, hervorgerufen wird. Ein Trauma bezeichnet eine besonders starke seelische Verletzung oder Erschütterung, die zum Beispiel durch extreme Erfahrungen wie Krieg, Gewalt, Naturkatastrophen oder Unfälle hervorgerufen werden. Im Prinzip ist Trauma eine besonders starke Form von Stress.
Die Funktion des Psoas-Muskels
Auch wenn der Mensch sich im Laufe der Evolution stark entwickelt hat, basiert unser Nervensystem immer noch auf urzeitlichen Mechanismen. Eine besondere Rolle spielt dabei der Psoas-Muskel, der große Hüftbeugemuskel, der von der unteren Wirbelsäule durch die Hüfte bis zum Ansatz der Oberschenkel reicht und von außen nicht ertastbar ist.
Sind wir einem Stressor, egal welcher Art, ausgesetzt, aktiviert sich der Psoas-Muskel, um eine der drei Reaktionen Kampf, Flucht oder Erstarren auszuführen. Während Stressoren vor 10.000 Jahren vor allem Feinde wie der Säbelzahntiger waren, sind es heutzutage überwiegend mentale oder psychische Stressoren wie Leistungs- oder Termindruck. Kampf oder Flucht kommt also eher selten zum Einsatz, stattdessen reagiert der Muskel, indem er anspannt und „einfriert“.
Un-Freeze: Das neurogene Zittern
In der natürlichen Funktionsweise würde nun, nachdem die Gefahr vorüber ist, das natürliche Zittern, der neurogene Tremor, einsetzen, und die Anspannung wieder auflösen. Wie einleitend bereits beschrieben, tut er das nur leider bei erwachsenen Menschen nicht mehr bzw. nur noch sehr selten. Wir haben im Laufe unseres Erwachsenwerdens scheinbar gelernt, diesen zu unterdrücken und die Anspannung auszuhalten.
Wichtig zu verstehen ist, dass der Körper in seiner Reaktion nicht zwischen seelischem und körperlichem Trauma unterscheidet. Auch vermeintlich kleine, unbedeutende Erlebnisse können zu einer erhöhten Muskelanspannung führen, ohne dass wir uns dem bewusst sind.
Wie TRE® wirkt
Mithilfe von TRE® aktivieren Sie den Tremor also gezielt wieder und lösen tiefliegende Muskelverspannung auf. Das neurogene Zittern stellt Ihr körpereigenes Selbstheilungsprogramm dar, das Sie bei der Selbstregulation und der Verarbeitung von Stress und Trauma unterstützt.
Auch starke Gefühle werden bei Überforderung körperlich abgespeichert und durch den vibrierenden Zitterprozess lösend an die Oberfläche gebracht. Unter Umständen kann das dazu führen, dass Sie während der Übungen Emotionen erleben, die Sie nicht erwartet haben und die der Vergangenheit angehören.
Häufig beschreiben Übende den emotionslösenden Prozess aber nicht als überwältigend, sondern als angenehm entspannend. Der Körper hat eine ureigene Intelligenz zur Regulation, so dass das Maß der gelösten Emotionen und Traumata Ihre Bewältigungskapazität nicht übersteigen wird.
Auch wenn noch großflächig ausgelegte Langzeitstudien fehlen, stellen bereits bestehende Studienergebnisse dem TRE® ein positives Zeugnis mit hoher Wirksamkeit aus. Bereits nach einem halben Jahr berichteten Übende über weniger gesundheitliche Beschwerden, insbesondere chronische Schmerzen in den Füßen, Knien und dem Rücken, und gleichzeitig eine verbesserte Verdauung sowie einen erholsameren Schlaf. Zudem fühlen sie sich ruhiger, entspannter und ausgeglichener.
TRE® stärkt die Verbindung zum eigenen Körper und stellt ein Ur-Vertrauen zu ihm wieder her. Die Methode wird bereits zur akuten Soforthilfe bei Betroffenen von Umweltkatastrophen, in Krisenregionen oder in Schulen eingesetzt.
Der Ablauf einer TRE®-Sitzung
Im Rahmen einer TRE®-Sitzung praktizieren Sie unter Anleitung eines zertifizierten TRE®-Trainers bzw. Trainerin 7 aufeinander aufbauende Übungen. Diese sind teils dem Tai Chi oder dem Yoga entlehnt und zielen zunächst darauf ab, einzelne Muskelgruppen gezielt zu ermüden und leicht zu dehnen.
Auf diese Weise wird der Körperorganismus auf das Zittern vorbereitet, welches in den letzten Übungen der Reihe hervorgerufen wird – zunächst im Stehen, anschließend im Liegen. Alle Übenden sind währenddessen dazu eingeladen, den Tremor selbstständig zu dosieren, also zu regulieren und immer wieder bewusst zu unterbrechen oder gar zu beenden.
Das folgende Video veranschaulicht den konkreten Ablauf der TRE®-Übungen:
Ziel beim TRE® ist es, dass alle Anwendenden sich zu jeder Zeit wohl und sicher fühlen. Sie sollen nicht in einen Zustand gelangen, der Sie überfordert oder dem Sie sich nicht gewachsen fühlen. Stattdessen sollen Sie Ihren körpereigenen Regulationsmechanismus kennenlernen und lernen, ihn bewusst zu nutzen. Hören Sie auf die Grenzen, die Ihr Organismus Ihnen signalisiert.
Wo Sie TRE® üben können
Weltweit gibt es eine Vielzahl offiziell ausgebildeter TRE®-Praktizierender. Auf der Website von Dr. David Berceli gibt es eine regelmäßig aktualisierte Übersicht, in der Sie TRE®-Workshops und Kurse in Ihrer Nähe finden können. Je nachdem, in welchen Rahmen Sie sich wohler fühlen, können Sie entweder an Gruppenstunden oder an Einzelsitzungen teilnehmen.
Es ist durchaus sinnvoll, die ersten TRE®-Sitzungen mit einer zertifizierten Begleitperson zu absolvieren. So sind Sie gut aufgehoben und erfahren wertvolle Unterstützung sowie ein Gefühl von Sicherheit im Auflösungsprozess von Stress und Träume. Mit der Zeit ist jedoch das Ziel, dass Sie die Übungsreihe verinnerlichen und regelmäßig oder bei Bedarf zuhause üben können.