Das Gehirn eines Menschen besteht aus etwa 100 Milliarden Nervenzellen, die untereinander in einem komplexen und klar strukturiertem Netzwerk angeordnet sind. Das Geheimnis seiner Funktionalität besteht aber nicht nur in dieser enormen Anzahl von Zellen, sondern vielmehr in der Komplexität der Netzwerke. Diese nimmt allerdings im Alter stetig ab und verursacht einen gewissen geistigen Verfall. Einer Personengruppe macht das scheinbar gar nicht so viel aus: Nonnen.
Bereits im Jahr 1986 startete der Epidemiologe David Snowdon, nicht zu verwechseln mit dem US-amerikanischen Whistleblower Edward Snowden, an der Kentucky-Universität die sogenannte Nonnenstudie. Grundlage für seine Untersuchungen war die Beobachtung, dass Menschen, die in Glaubensgemeinschaft leben, älter werden und dabei gesünder sind als andere Menschen. Snowdon wollte in seiner Studie den Fokus auf das Gehirn und die kognitive Leistungsfähigkeit im Alter setzten.
Für seine Studie gewann er 678 amerikanische Ordensschwestern mit einem Startalter zwischen 76 und 107 Jahren. Sie erklärten sich bereit an einer Reihe von regelmäßigen Intelligenztests teilzunehmen, ihr Leben bezüglich ihres Lebensstils durchleuchten zu lassen und, und das ist eine absolute Besonderheit dieser Studie, nach ihrem Tod ihre Gehirne zu Untersuchungszwecken an die Universität zu stiften.
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Mit dem Alter schrumpft das Gehirn
Wenn der Mensch altert, dann ist es ein völlig natürlicher Prozess, dass das Gehirn an Volumen verliert. Zum einen gehen Nervenzellen zugrunde, zum anderen verliert es aber auch an Komplexität, indem Netzwerke langsam aber sicher abgebaut werden. Dieser Verfall ist die Ursache für alle kognitiven Einschränkungen, die das Alter mit sich bringt. Dazu gehören unter anderem:
* Vergesslichkeit
* Konzentrationsschwierigkeiten
* Reduziertes Arbeitsgedächtnis
* Verschlechterte Sinneswahrnehmung
* Verschlechterte Feinmotorik
Diese „normalen“ Beeinträchtigungen müssen von pathologischen Veränderungen unterschieden werden, wie sie bei neurodegenerativen Erkrankungen, wie Alzheimer oder Parkinson, auftreten. Hier werden bestimmte Strukturen des Gehirns durch die Krankheit zerstört, dessen Ausmaß das des normalen Verfalls weit überschreitet.
In der Nonnenstudie wurden die alten Frauen regelmäßig besucht und ihre kognitiven Fähigkeiten wurden getestet. Ihre soziale Umgebung wurde ebenso analysiert, wie die Aufgaben, die sie in der Gemeinschaft noch erfüllten. Dabei zeigte sich, dass die Nonnen bis ins hohe Alter über eine überdurchschnittliche geistige Fitness verfügten, Aufgaben übernahmen und aktiver Teil der Gemeinschaft blieben. Sie verfügten bis ins hohe Alter über eine große Auffassungsgabe und nahmen an Diskussionsrunden und Disputen teil. Insoweit deckten sich die Beobachtungen mit den Erwartungen.
Auch Nonnenhirne schrumpfen
Weit erstaunlicher waren die anatomischen Untersuchungen nach dem Ableben der Nonnen. Während sich ihre intellektuellen Leistungen zu Lebzeiten deutlich von dem Durchschnitt der Gleichaltrigen unterschieden, zeigten sich diese Unterschiede im Gehirn kaum. Die Gehirne der Nonnen wiesen einen deutlichen Volumenverlust auf und zeigten teilweise sogar ganz erhebliche Anzeichen für eine Alzheimerkrankheit. Selbst diese drastischen pathologischen Veränderungen machten sich bei den Frauen jedoch kaum bemerkbar, die bis zu ihrem Tod als geistig fit bezeichnet wurden. Ihre Gehirne konnten den Verlust scheinbar gut kompensieren.
Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass der ruhige und gesunde Lebenswandel der Nonnen dazu führt, dass ihre Gehirne mit dem altersbedingten Verfall scheinbar deutlich besser zurecht kommen. Die Nonnen verbrachten zum Teil ihr gesamtes Leben im Kloster, erfuhren dort wenig Stress, waren stets gut versorgt und konnten sich in der Gemeinschaft unter Gleichgesinnten intellektuell austauschen. Sie ernährten sich sehr gesund und lebten nicht ausschweifend. In Gesprächen hatten die Nonnen immer einen positiven Blick auf sich und die Welt. Für sie spielte es keine Rolle, was im Alter nicht mehr klappt, sondern sie waren dankbar für alles, was noch ging.
Fazit
Die Nonnenstudie zeigt eindrucksvoll, dass die altersbedingten Verfallsprozesse im Gehirn nicht zwingend auch zu einem geistig mentalen Verfall führen müssen. Ein gesunder Lebenswandel ist unabhängig von einem klösterlichen Leben und kann von jedem umgesetzt werden. Dazu gehören:
* ein gesundes Mindset (Dankbarkeit, positive Denkmuster, Achtsamkeit etc.)
* eine gesunde Ernährung
* Stress reduzieren
* regelmäßige Bewegung
* aktives Sozialleben
Neben den persönlichen Lehren war die Nonnenstudie auch Auslöser für eine ganze Reihe weiterer Forschung mit dem Ziel, Programme zu entwickeln, die alten Menschen jenseits von Klostermauern dabei helfen, geistig fit zu bleiben. Dank der Nonnen wissen wir heute viel mehr über die Wichtigkeit einer gesunden und aktiven Teilnahme am Leben für ein gut funktionierendes Gehirn, auch im hohen Alter.
Weitere Quelle
David Snowdon, Aging with Grace: The Nun Study and the Science of Old Age. How We Can All Live Longer, Healthier and More Vital Lives. (Englisch) Taschenbuch – 1. Juli 2002