Während sie vor einigen Jahren noch eher unbekannt in einer Ecke der Alternativmedizin verweilte, ist die Osteopathie mittlerweile den meisten Menschen ein Begriff. Sie verspricht Heilung mit den Händen – durch gezielten Druck, Ertasten und sanfte Massage von Gewebe. Als ganzheitliche Therapieform findet sie zunehmend Anklang und verspricht, um die 100 Krankheitsbilder behandeln zu können, darunter Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Tinnitus, Arthroseschmerzen, Rheuma, Migräne etc.
Erfahren Sie in diesem Artikel,
- wie die Osteopathie entstanden ist,
- was Osteopathie eigentlich ist,
- wie eine Behandlung abläuft
- und was Sie bezüglich Studienbelege und Ausbildung der Osteopathen wissen sollten.
Inhaltsverzeichnis
Die Entstehung von Osteopathie
Im Jahr 2021 waren 23 % der deutschen Bevölkerung über 14 Jahren, das umfasst mehr als 14,6 Millionen Menschen, in einer osteopathischen Behandlung. Drei Jahre zuvor waren es noch gut 18 %. Die alternative Heilmethode erlangt also nach wie vor zunehmend an Beliebtheit.
Verantwortlich dafür, dass es dazu kommen konnte, ist in den Wurzeln der Osteopathie der amerikanische Arzt Andrew Taylor Still. Vor über 140 Jahren, Ende des 19. Jahrhunderts, war er mit der herkömmlichen Medizin, die damals noch aus Praktiken wie dem Aderlass bestand, unzufrieden. Er suchte nach alternativen Wegen, seine Patienten und Patientinnen zu behandeln und landete so bei potentiellen Fehlstellungen im System aus Muskeln und Knochen.
Seiner Ansicht nach konnten solche Fehlstellungen zu Krankheiten führen. Eine Behebung und Wiederherstellung der Beweglichkeit sollte die Selbstheilungskräfte aktivieren und die Blutversorgung im Körper wiederherstellen.
Still begann, seine Patienten und Patientinnen mit sanftem Händedruck auf Gelenke und Gewebe zu behandeln. Die Blockade muss dabei keinesfalls an derselben Stelle liegen, wo die Beschwerde auftritt. Die Osteopathie war geboren und bis heute haben sich weltweit zahlreiche Ärzt:innen, Heilpraktiker:innen, Orthopäd:innen und Physiotherapeut:innen der Lehre Stills angeschlossen, sie studiert, verfeinert und weiterentwickelt.
Was Osteopathie heute bedeutet
Der Name Osteopathie bedeutet übersetzt „Knochenleiden“. Er stammt aus den Ursprüngen dieser Heilkunst, als sie sich ausschließlich an der Anatomie des Körpers, bestehend aus Muskeln, Skelett und Bindegewebe orientierte. Dort liegt heute immer noch ein großer Schwerpunkt in der Osteopathie. Bekannt ist dieser Bereich als Parietale Osteopathie.
Die drei Unterbereiche der Osteopathie
Die Parietale Osteopathie verwendet ähnliche Behandlungsmethoden wie die klassische Manuelle Therapie, wie sie beispielsweise Physiotherapeut:innen anwenden. Verkürzte Muskeln werden gedehnt und muskuläre Verspannungen durch sanfte Druckmassage gelöst, um Schmerzen zu lindern.
Daneben sind zwei weitere Bereiche der Osteopathie entstanden:
- Viszerale Osteopathie
- Kraniosakrale Osteopathie
Die Viszerale Osteopathie beschäftigt sich mit inneren Organen und dem umliegenden Gewebe dieser. Dort gilt beispielsweise die Annahme, dass Rückenschmerzen durch eine ungünstige Position oder Erkrankung der Nieren hervorgerufen werden können. Die Behandlung soll dann eine Verschiebung oder Heilung der Nieren einleiten, um die Schmerzen zu lösen.
Die Kraniosakrale Osteopathie legt ihren Fokus auf Gehirn, Rückenmark und Hirnhäute. Sie sieht den gesamten Körper als energetisches System, innerhalb dessen es einen feinen, pulsierenden Rhythmus gibt. Dieser Rhythmus wird auch als Energiefluss bezeichnet und verbindet so Gehirn und Rückenmark. Er kann von ausgebildeten Osteopathen am Schädel oder Steißbein ertastet und durch sanften Druck harmonisiert werden. Blockaden im Energiefluss können der Osteopathie zufolge Ursache für psychische Erkrankungen, Kopfschmerzen und einige weitere Krankheitsbilder sein.
Was die Osteopathie ausmacht
In der Praxis verschwimmen die drei oben genannten Bereiche der Osteopathie in der Regel miteinander und sind nicht klar voneinander zu trennen.
Grundlegend für diese Behandlungsform ist es, dass der Patient oder die Patientin individuell und ganzheitlich betrachtet wird. Osteopathen behandeln nicht die Symptome oder die Krankheit an sich, sondern stets die Auslöser und Ursache der Krankheit. Das unterscheidet sie für viele von der herkömmlichen Medizin.
Der Körper wird als Organismus betrachtet, in dem alles miteinander zusammenhängt. Für Verbindung einzelner Körperbereiche sorgen zum Beispiel die Faszien – kleine, bindegewebsartige Strukturen. Gemeinsam bilden sie eine große Körperfaszie. Faszien verbinden auch jene Teile, die funktionell betrachtet in keiner Verbindung zueinanderstehen. Durch fasziale Strukturen gibt es der Osteopathie zufolge aber durchaus Zusammenhänge zwischen Dickdarm und Bandscheiben oder Gebärmutter und Kreuzbein.
Die Behandlung durch die Hände löst Spannungen und Blockaden in diesen Gewebsschichten und stellt so die natürliche Beweglichkeit wieder her. Außerdem soll die osteopathische Behandlung Selbstregulierungskräfte anregen, durch die sich ein Körper selbst heilen kann.
Je nach Beschwerde oder Krankheit kann die Osteopathie so als alleinstehende Therapieform angewendet werden oder ergänzend zu weiteren, teils schulmedizinischen Behandlungen. Die Osteopathie gilt hierzulande als Heilkunde, so dass nur ausgebildete Ärzte bzw. Ärztinnen sowie Heilpraktiker bzw. Heilpraktikerinnen sie durchführen dürfen. In den USA, dem Geburtsland dieser Alternativmedizin, sind Osteopathen bereits den Ärzten gleichgestellt.
Wie eine Osteopathie-Sitzung abläuft
Was viele Menschen an Osteopathen schätzen, ist, dass diese sich deutlich mehr Zeit für die Diagnose und Behandlung nehmen können als andere Therapeuten. Eine Sitzung dauert in der Regel bis zu einer Stunde.
Zu Beginn findet ein ausführliches Vorgespräch statt. Anschließend beginnt der Osteopath mit der Diagnostik: Er ertastet den gesamten Körper, die Muskeln, Knochen, Gelenke und Gewebestrukturen, um so mögliche Fehlstellungen, Blockaden und Bewegungseinschränkungen feststellen zu können. Diese Diagnosestellung wird als Palpation bezeichnet und ist eine wichtige Grundlage der osteopathischen Therapie.
Von Bedeutung dafür ist der Tastsinn der Osteopathen, den sie in ihrer Ausbildung und praktischen Erfahrung über die Jahre zunehmend schulen und verfeinern. Sie werden zunehmend besser in der Perzeption, also der Wahrnehmung des Körpergewebes und dessen Antwort auf bestimmte Druckreize.
Die eigentliche Behandlung besteht dann oft auf der gezielten und sanften Druckausübung auf bestimmte Körperteile bzw. Gewebsschichten. Da die individuelle Erfahrung ein wichtiger Faktor in der Arbeit von Osteopathen ist, ist es durchaus möglich, dass verschiedene Osteopathen bei derselben Diagnose unterschiedliche Behandlungsformen wählen. Das ist der Osteopathie zufolge auch nicht problematisch, da es unterschiedliche Verbindungen der Strukturen im Körper gibt und es in erster Linie darum geht, dass das Gewebe auf die jeweilige Behandlung reagiert.
Die osteopathische Heiltherapie ist trotz steigender Beliebtheit in Deutschland keine Kassenleistung. Patienten und Patientinnen müssen diese privat zahlen – eine Stunde kostet je nach Praxis zwischen 60 und 150 Euro. Immer mehr Krankenkassen bezuschussen diese Behandlung jedoch mittlerweile.
Was Sie vor einer osteopathischen Behandlung wissen sollten
Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Praxen und Therapeut:innen, die Osteopathie anbieten. Wie bereits erwähnt, darf die Behandlung in Deutschland nur von Ärzt:innen sowie Heilpraktiker:innen durchgeführt werden. Osteopath an sich ist allerdings keine geschützte Berufsbezeichnung, ebenso wenig gibt es gesetzliche Anforderungen an die osteopathische Ausbildung.
Dementsprechend gibt es große Unterschiede in der Qualifikation und Eignung praktizierender Osteopathen. Ausbildungen finden an privaten Schulen in Vollzeit oder berufsbegleitend statt und umfassen zwischen 400 und 1700 Unterrichtseinheiten. Seit 2011 gibt es auch ein Studium der Osteopathie an privaten Hochschulen. Am anderen Ende des Spektrums gibt es aber auch Intensivschulungen und Wochenendkurse, die mit einem Zertifikat der Osteopathie enden.
Etwas Orientierung geben osteopathische Berufsverbände wie der Verband der Osteopathen Deutschland e.V. (VOD). Diese legen Qualitätsstandards fest und weisen auf ihrer Website entsprechend qualifizierte Osteopathen und Osteopathinnen aus.
Die Sache mit der Studienlage
Was der Osteopathie zudem von Kritikern nicht selten vorgeworfen wird, ist dass die Studienlage zum Nachweis der Wirkung der Therapie noch übersichtlich und dünn ist. In der Tat gibt es gerade für die viszerale und die kraniosakrale Osteopathie noch kaum Belege. Am meisten untersucht und am besten belegt ist die parietale Osteopathie und insbesondere die Wirkung bei chronischen Rückenschmerzen.
Trotz fehlender Studienbelege für viele weitere Krankheitsbilder gibt es aber auch kaum Hinweise für eine Schädlichkeit der Methoden. So gilt wie bei vielen alternativen Heilverfahren: Es kann helfen und es schadet nicht. Wenn Sie das Gefühl haben, dass ein Osteopath Ihnen bei Ihren Beschwerden helfen kann, folgen Sie diesem Gefühl und finden Sie einen kompetenten Osteopathen, der sich Zeit für Sie nimmt.
Bei schweren und bösartigen Erkrankungen sowie akuten Fällen wie Knochenbrüche verweisen selbst (gute) Osteopathen an entsprechende Schulmediziner weiter – denn trotz der vielen positiven Erfahrungen, von denen Patienten und Patientinnen berichten, hat auch die Osteopathie ihre Grenzen und ist kein Allheilmittel.